Nir­gends kann man den Grad der Cul­tur einer Stadt und über­haupt den Geist ihres herr­schen­den Geschmacks schnel­ler und doch zugleich rich­ti­ger ken­nen­ler­nen, als – in den Lese­bi­blio­the­ken.

Höre was ich dar­in fand […]:

»Wir wün­schen ein Paar gute Bücher zu haben« – Hier steht die Samm­lung zu Befehl – »Etwa von Wie­land« – Ich zweif­le fast – »Oder von Schil­ler, Göthe« – Die mög­ten hier schwer­lich zu fin­den sein – »Wie? Sind alle die­se Bücher ver­grif­fen? Wird hier so stark gele­sen?« – Das eben nicht – »Wer lies’t denn hier eigent­lich am meis­ten?« – Juris­ten, Kauf­leu­te und ver­hei­ra­the­te Damen. – »Und die unver­hei­ra­the­ten?« – Sie dür­fen kei­ne for­dern. – »Und die Stu­den­ten?« – Wir haben Befehl ihnen kei­ne zu geben. – »Aber sagen Sie uns, wenn so wenig gele­sen wird, wo in aller Welt sind denn die Schrif­ten Wie­lands, Göthes, Schil­lers?« – Hal­ten zu Gna­den, die­se Schrif­ten wer­den hier gar nicht gele­sen. – »Also Sie haben sie gar nicht in der Biblio­thek?« – Wir dür­fen nicht. – »Was stehn denn also eigent­lich für Bücher hier an die­sen Wän­den?« – Rit­ter­ge­schich­ten, lau­ter Rit­ter­ge­schich­ten, rechts die Rit­ter­ge­schich­ten mit Gespens­tern, links ohne Gespens­ter, nach Belie­ben.

Hein­rich von Kleist